Sonntag, 29. November 2020

Adventsbesinnung: Sonntag, 29. November, 1. Advent

Im neuen Kirchjahr werden wir am Sonntag in der Regel Abschnitte aus dem Markusevangelium hören. Am 1. Advent ist es der Schluss des 13. Kapitels, des ‚apokalyptischen‘ Kapitels bei Markus.

In jener Zeit, sprach Jesus zu seinen Jüngern:
33Seht euch also vor, und bleibt wach! Denn ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist.
34Es ist wie mit einem Mann, der sein Haus verließ, um auf Reisen zu gehen: Er übertrug alle Verantwortung seinen Dienern, jedem eine bestimmte Aufgabe; dem Türhüter befahl er, wachsam zu sein.
35Seid also wachsam! Denn ihr wisst nicht, wann der Hausherr kommt, ob am Abend oder um Mitternacht, ob beim Hahnenschrei oder erst am Morgen.
36Er soll euch, wenn er plötzlich kommt, nicht schlafend antreffen.
37Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Seid wachsam! (Mk 13, 33-37)

Im Judentum der Zeit Jesu und der letzten 150 Jahre zuvor gab es eine reich entwickelte apokalyptische Literatur. Dabei ging es immer wieder um die ‚letzten Dinge‘: um das Gericht Gottes, und um die Katastrophen, die diesen großen Tag des Herrn einleiten sollten. Es fällt auf, dass diese apokalyptische Redeweise typisch für die Armen, die Entrechteten war: sie mussten erleben, dass die Mächtigen über sie hinweggingen, dass ihre Nöte keine Beachtung fanden, dass sie ihre Hoffnung allein auf ein wunderbares Eingreifen Gottes setzen konnten.

Diese Hoffnung Israels nimmt Jesus auf. Bei ihm geht es nicht um eine Spekulation über das Datum oder die Umstände des Weltendes, sondern darum, dass die ‚apokalyptische Situation‘ das Leben der Jüngerinnen und Jünger insgesamt prägen soll: sie sollen nicht auf die Pläne der Reichen und Mächtigen vertrauen, sondern den Schrei der Armen hören, sollen wach und aufmerksam leben, immer bereit, dem Herrn zu begegnen. Die nüchterne Bereitschaft, heute das Notwendige zu erkennen, heute so zu leben, als ob morgen Jesus wiederkommt, prägt die christliche Ethik. 

Dazu ein Zitat aus einem Bibelkommentar:

Christliche Lehrer und Prediger sind oft erschrocken über Markus 13 und andere apokalyptische Passagen aus dem Neuen Testament. Das ist deshalb so, weil die Begriffe und Bilder sehr fremd erscheinen und weil diese Texte im Laufe der Jahrhunderte von "falschen Messias und falschen Propheten" missbraucht wurden, um Menschen zu manipulieren und sie sogar zu destruktiven Handlungen zu bewegen. Dennoch spielt Markus 13, wie diese Interpretation zu zeigen versucht hat, eine wichtige Rolle in der christlichen Theologie und im christlichen Leben und sollte ernst genommen werden.

Der erste Schritt zum Abbau von Vorurteilen gegenüber der Apokalyptik besteht darin, ihre literarischen Konventionen zu würdigen, insbesondere ihre Wiederverwendung von Bildern und Mythen aus dem Alten Testament im neuen Kontext der zukünftigen Entfaltung von Gottes Plan. Der nächste Schritt besteht darin, die historischen Umstände zu würdigen, unter denen die jüdischen und christlichen Apokalypsen als "Literatur der Enteigneten" verfasst wurden. Der dritte Schritt besteht darin, zu versuchen, die bleibende theologische Bedeutung zu erfassen, die ein apokalyptischer Text wie Markus 13 haben könnte.

Markus 13 wendet sich mit den Konventionen der Apokalyptik an Christen, die um des Namens Jesu willen gelitten haben und noch mehr erwarten können. Diese Menschen stellten im römischen Reich eine winzige Minderheit dar und setzten ihre Hoffnung auf Rechtfertigung notwendigerweise auf Gott. In der apokalyptischen Vision fanden sie einen Grund für Jesu Leiden und ihr eigenes ("es ist notwendig") sowie die Verheißung, dass ihr Leiden bald in Herrlichkeit enden würde (so wie sie glaubten, dass das Leiden Jesu es tat). Die Sprache der jüdischen Apokalyptik - das Reich Gottes, Messias und Menschensohn, Auferstehung, das jüngste Gericht - lieferte viele ihrer wichtigsten theologischen Ideen. Die Überzeugung, dass die Welt verwandelt werden würde und dass sie mit dem auferstandenen Jesus in Herrlichkeit herrschen würden, gab ihnen einen Horizont der Hoffnung, vor dem sie ihre gegenwärtigen Leiden deuten konnten, und das Beharren auf ständiger Wachsamkeit half ihnen, Bedeutung und ethische Ausrichtung ihres Handelns in der Gegenwart zu finden.

 

Aus: DONAHUE, JOHN R. ; HARRINGTON, DANIEL J. ; HARRINGTON, D. J. (ed.): The Gospel of Mark, Sacra Pagina Series. vol. 2. Collegeville, MN : The Liturgical Press, 2002


 

 

 

 

 

Im Tagesgebet der Messe beten wir:

Herr, unser Gott, alles steht in deiner Macht;
du schenkst das Wollen und das Vollbringen.
Hilf uns, dass wir auf dem Weg der Gerechtigkeit Christus entgegengehen
und uns durch Taten der Liebe auf seine Ankunft vorbereiten,
damit wir den Platz zu seiner Rechten erhalten,
wenn er wiederkommt in Herrlichkeit.
Er, der in der Einheit des Heiligen Geistes
mit dir lebt und herrscht in alle Ewigkeit. Amen.

Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Adventszeit!

Pfarrer Martin Wetzel


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