„Du stellst meine Füße auf weiten Raum.“ (Ps 31,9)
Seit Aschermittwoch hängt in Maria Hilf und in St. Jakobus das neue Misereror Hungertuch aus. In allen drei Kirchen finden Si Informations- und Gebetsmaterial dazu .
Ich möchte versuchen, Ihnen das doch eher ungewöhnliche und auf den ersten Blick frag-würdige Hungertuch der chilenischen Künstlerin Lilian Moreno Sanchez näher zu bringen.
Die Künstlerin hat es zu Beginn der Pandemie 2020 gemalt.
Schauen Sie es an, was sehen wir auf den ersten Blick: feine und etwas dickere verschlungene Linien, goldene Blütenblätter. Auf alle Fälle ein farblich minimalistisches Bild. Und was wir nicht sehen: das Original ist auf Bettwäsche gemalt – aus einem Krankenhaus und einem bayerischen Frauenkloster.
Was erkennen wir auf dem Bild?
Die Künstlerin zeichnet in den schwarzen Linien ein Röntgenbild eines Fußes, der mehrfach gebrochen ist, auf die Leinwand.
Der Fuß gehört zu einem Menschen, der in Chile für Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit demonstriert hat. Die Polizeigewalt hat ihn schwer verletzt. Das Bild hat zweifelsohne biografische Hintergründe, denn die Künstlerin hat diese Gewalt der Diktatur in Chile erlebt.
Was sagt es uns hier in Mannheim?
Misereror schreibt in der Interpretation dazu: „Die schwarzen Linien des Röntgenbildes, die verwendeten Materialien Zeichen-Kohle, Staub und Leinöl, die karge Bildsprache verweisen auf das Sterben Christi und das Leiden der Menschen; dagegen stehen Gold und Blumen für Hoffnung und Liebe.“
Das Röntgenbild vermittelt uns Schmerz und Krankheit. Die goldenen Blumen zeigen uns in allem Leid aber auch die Kraft eines neu erblühenden, geheilten Lebens. Und wenn wir genau auf die Linien schauen, spüren wir auch ein Gefühl der Leichtigkeit, wie wenn wir frei schweben würden. Das Leben geht weiter – auch mit verwundeten Füßen.
Das Leben ist so verletzlich.
Das spüren wir auch in dieser Zeit der Pandemie. Wir spüren Verletzlichkeit in unserm sozialen, kulturellen und auch religiösen Leben. Wir haben das Gefühl alles bricht - alles bricht zusammen. Soziale Kontakte, Zusammenhalt, gemeindliches Leben vor Ort.
Wir fragen uns, wie geht es weiter? Wir wollen unser altes Leben zurück. Gibt es ein Leben nach Corona?
Wir spüren alle, dass unser Leben anders sein wird.
Wir wissen nicht was diese neue Zeit uns bringen wird, wir unser Leben aussehen wird.
„Die Kraft des Wandels“ hat Lilian Moreno Sanchez ihr Bild noch untertitelt.
Unser Leben wandelt sich. Statt darüber zu jammern, sollten wir kraftvoll neue Möglichkeiten suchen und leben.
Diese Zeit des Abstandes, des Verzichten und Fastens, der Erkenntnis, dass eben nicht alles machbar ist, der Sorgen um die Existenz ist sicher schlimm und bedrohlich. Sie wird aber in Hoffnungslosigkeit nicht besser.
Sie wird besser im Vertrauen auf das was uns trägt.
So wie die Künstlerin in ihr Bild goldene Blumen als Zeichen der Heilung eingearbeitet hat. Sie will uns darauf aufmerksam machen, woher Heil und Heilung kommt: von Jesus Christus.
In Psalm 31 wird uns das hoffnungsvoll vor Augen geführt.
„Er beschreibt, was im Glauben alles möglich ist. Das Bild des Fußes lässt uns an Aufbruch, Bewegung und Wandel denken; das Bild des weiten Raumes lässt uns aufatmen, wenn die Füße schwach werden“ schreibt Misereor dazu.
Der Psalm kennt Erfahrungen von Krankheit, Einsamkeit und Verzweiflung. Immer schon haben Menschen in solchen Zeiten Zuflucht bei Gott gesucht: „aus der Enge der Angst blickten sie hinaus ins Weite und schöpften Kraft für einen Neubeginn.“
Auch für uns geht es darum nicht in der Verletzlichkeit, in der Sorge zu verharren, sondern als Christinnen und Christen vertrauensvoll auf Jesus Christus zu bauen und darum wissen, dass unsere Verletzlichkeit und Angst Heilung erfahren kann.
Ich erinnere mich an meine Krankenzeit vor 6 Jahren.
Damals wurde ich von den den existentiellen Fragen eines jedes Menschen in Krisensituationen herausgefordert: wie komme ich durch diese dunkle Zeit, wie kann ich weiterleben.
Auch in meinen Glauben wurde ich herausgefordert. Tragen die Zusagen unseres Glaubens, die ich in vielen seelsorgerlichen Gesprächen anderen Menschen zugesagt habe? Diese Krisenzeit wurde auch eine Anfrage an meinen persönlichen Glaubens. Und ich kann sagen: die Zusagen, sie haben getragen.
Gott ist an deiner Seite, er geht mit dir deinen Weg – ich durfte es erfahren.
In dieser Zeit ist mir das Wort des Mannheimer Jesuitenpaters Alfred Delp in die Hände gefallen: „Lasst uns dem Leben trauen, weil wir es nicht allein zu leben haben, sondern Gott es mit uns lebt.
Er hat diesen Gedanken mit gefesselten Händen und zum Tod verurteilt geschrieben. Er formuliert damit die feste Überzeugung: Gott geht mit uns.
Ich vertraue auch in dieser Pandemiezeit darauf, dass Gott diese Zeit begleitet.
Dass er uns neue Ideen schenkt, diese Zeit zu bestehen.
Dass uns neu bewusst wird, was wichtig in unserem Leben, in unserem Glauben ist. Und das kann auch Wandel und Veränderung sein.
Lassen Sie uns mutig sein, lassen Sie uns ausdauernd und beharrlich sein, lassen Sie uns solidarisch sein mit denen, die sich schwer tun in dieser Zeit, und lassen Sie uns diesen weiten Raum beschreiten, in den uns Gott immer wieder mit seiner befreienden Botschaft der Liebe, der Gerechtigkeit, der Freiheit stellt
Lassen Sie uns die Kraft des Wandels leben.
In den Kirchen liegt zum Hungertuch einiges an Material aus – auch ein DinA 4 Bild des Hungertuchs. Bedienen Sie sich gerne!
Sabine Hansen, Pastoralreferentin
Quelle: https://www.misereor.de/mitmachen/fastenaktion/hungertuch